Der Befremdlichkeit vertrauen (Nahtod, Gehirn)


http://www.fr-online.de/literatur/hans-peter-duerr--die-dunkle-nacht-der-seele--reise-mit-wiederkehr,1472266,33793014.html

„Die dunkle Nacht der Seele“ von H. P. Dürr habe ich mir reingezogen. Leider hat mich die Lektüre nicht so gepackt, wie erhofft. Neue Erkenntnisse blieben mir verschlossen. Wurden doch hauptsächlich unzählige Nahtod-Erfahrungsberichte aus allen Epochen aneinandergereiht, die zwar in Sequenzen interessant zu lesen sind, jedoch in der Masse ermüdend. So als würde jemand Traumerzählungen aus verschiedenen Jahrhunderten sammeln. Irgendwann erschöpft einem das Sammelsurium an individuellen Eindrücken und macht kaum weiser als zuvor.

Zum im Artikel angesprochenen Thema Seele noch eine kurze Anmerkung: Ich wundere mich, wie schwer wir uns mit dem Begriff tun. Es macht keinen Sinn, die Seele in einem physikalischen Abbild zu suchen. Niemand würde den Zustand des „Himmlischen“ (nach dem Motto: Ich fühle mich wie im siebten Himmel) tatsächlich mittels Messgeräten am Himmel suchen. Ist uns doch allen bewusst, dass der Himmel, im Kontext von himmlisch, eine reine Zustandsbeschreibung ist und kein physikalisch nachweisbarer Ort. Untersuchten wir die physikalischen Komponenten des Himmels rein wissenschaftlich, würden wir natürlich keinen Zustand des Himmlischen finden, sondern rein physikalische Gesetzmäßigkeiten. Die Seele ist eine Zustandsbeschreibung, nicht mehr und nicht weniger. Sie beinhaltet u. a. was den Menschen ausmacht, seine Haltung, seinen Wesenszug und spezifische Eigenheiten. Wie man sich beim Himmlischen z. Bsp. auf die Reichhaltigkeit und Schönheit des Firmaments bezieht, das in seiner Faszination inspirierend wirkt, so bezieht man sich beim Seelenbegriff auf die facettenreiche, individuelle Artikulation eines Organismus. 
Da das Seelische einen Zustand darstellt, kann es theoretisch aus beliebigen Zutaten heraus interpretiert werden. Voraussetzung ist lediglich, dass es einen Zustand gibt, der interpretieren kann und etwas Sinnhaftes zusammenbauen. 
Vor diesem Hintergrund kann man auch einen Gott, etwas Göttliches als eine Zustandsbeschreibung, die eine bestimmte Funktion inne hat, betrachten. 

Im Gegensatz zum im Text beschriebenen "Seelenlosen" der heutigen Gesellschaft, sehe ich die Tendenz genau umgekehrt. Wir nehmen durch die wachsende Komplexität der Informationen zu viel auf die Seelenzutatenliste, unterstellen mehr als tatsächlich ist. Diese Schnittstellen erscheinen mir eher überinterpretiert und zu beseelt, so dass sich der Wesenkern entziehen mag. Wir nehmen uns für bedeutsamer als wir sind.

Da Wirklichkeit, in welchem Zustand sie sich auch immer zeigen mag, allein Interpretation ist, ist es nicht treffend, zwischen Schein-Wirklichkeit und Wirklichkeit zu unterscheiden. Grundsätzlich alles hat schließlich nur den AnSchein zu existieren.

Nachtrag: Was ich mit Überinterpretation meine zeigt ein aktueller Artikel, den ich heute (17.2.16) im Netz fand:http://www.jesus.ch/magazin/kultur/buecher/287062-imagine_heaven_buch_vergleicht_1000_nahtoderfahrungen.html   Menschen sind vergleichende Wesen. Es ist uns in die Wiege gelegt, Unterschiede zu erkennen und Vergleiche zu ziehen. Bestimmte Informationen zu sammeln heißt, Leidenschaft für etwas zu entwickeln. Was ansich etwas Tolles ist. Das beseelt Sein von etwas kann nur leicht auch zu einer Überinterpretation der Gegebenheiten führen, dass man darin Muster zu erkennen glaubt, die einem vom eigentlichen Gehalt wegführen können. Aber diese Ansicht ist nur meine persönliche Interpretation :-)

Manchmal muss einem das Vertraute wieder fremd werden, um es besser zu verstehen.