Nahtoderfahrung - und was ich damit verbinde (Nahtod, Gehirn)

Teil 3

Seit 2008 läuft die Studie eines US-Mediziners, durch die Nahtoderlebnisse von Herzstillstandspatienten genauer untersucht werden sollen. In OP Sälen diverser Kliniken hat man Bilder angebracht, die nur von oben erkenntlich sind, für den liegenden Patienten nicht einsichtbar. Hierbei möchte man auch neue Erkenntnisse im Bereich der out of body Erfahrungen gewinnen. Es gibt Berichte von Patienten, die sich bei einem operativen Eingriff über ihrem eigenen Körper schwebend wahrgenommen haben und das Gefühl hatten, das Geschehen rund um die Operation von oben zu verfolgen. Einige schildern detaillierte Angaben z. B. über verwendete medizinische Geräte und was das Personal während des Eingriffs gesprochen hätte. Ärzte und Wissenschaftler erhoffen sich von der Studie, dass die Patienten bei einer out of body Erfahrung die Bilder erkennen können und hernach darüber erzählen. Was als Beweis für eine außerkörperliche Reise, für ein Loslösen von Geist und Körper, dienen soll.

Leider sind die spärlichen Ergebnisse, die bisher aus diesem Labor sickerten, in meinen Augen fragwürdig und seltsam unscharf. Nur wenige von über 1000 Patienten hätten sich an eine NTE erinnert und keine der angebrachten Bilder gesehen. Doch nun solle irgendwann ein Buch des federführenden Wissenschaftlers veröffentlicht werden, mit umfassenden Erkenntnissen. Immer wieder wird die Öffentlichkeit, die natürlich nach so vielen Jahren nach endgültigen Ergebnissen dürstet, vertröstet. Mal sehen, was uns von dieser Seite her noch erwartet.

Nun meine persönliche Einschätzung zu einer out of body Erfahrung während einer OP:

Ein Narkosezustand stellt immer eine besondere Situation dar, die für den Organismus Stress bedeutet. Narkosemittel können Halluzinationen auslösen. Hierzu zu einem späteren Zeitpunkt mehr, in einem gesonderten Teil. Unter lebensbedrohlichen Situationen, auch wenn sich der Organismus diese Bedrohung nur einbildet, können Hirnzellen miteinander takten und feuern, die unter normalen Umständen nie korrelieren würden, weil sie einen Ausfall anderer Hirnregionen kompensieren müssen. Plötzlich erhält das Gehirn nicht mehr die gewohnte Rückmeldung der Sinne, wie beim Wachbewusstsein. Trotzdem muss es ein schlüssiges Modell konstruieren, um das Überleben zu sichern. Eindrücke unmittelbar vor dem Verlieren des Bewusstseins können in dieses Konstrukt mit einfließen. Vielleicht glaubt der Patient, wenn er wieder bei klarem Bewusstsein ist, dass er dies alles vorher nicht wahrgenommen hätte. Doch kann er unbewusst viele Informationen aufgenommen haben, die nach dem Aufwachen zu einem sinnhaften Modell zusammengesetzt werden.

Bisher wurde noch nie wissenschaftlich fundiert erwiesen, dass ein narkotisierter Patient ein nicht einsehbares Bild bei einer out of body Erfahrung wahrgenommen hätte. Alles beruht ausschließlich auf Erzählungen sehr weniger Menschen. Die wahren Umstände bleiben uns verborgen, ob diese Patienten nicht doch mehr Einsicht hatten rund um die OP als sie denken oder glauben machen. Reine Fantasiegebilde können mit wahren Begebenheiten verschmelzen. Bei einer out of body Erfahrung lösen sich Filter und Muster auf, das Ich-Modell wird nicht mehr im Körper verortet. Das Gehirn kann sehr kreativ sein, wenn herkömmliche Muster und Gerüste nicht mehr funktionieren. Gerade in diesem Zustand fällt es in einen Akt höchster Kreativität. Wenn es gezwungenermaßen auf gewohnte Filter und Mechanismen verzichten und trotzdem ein schlüssiges Überlebensmodell konstruieren muss. Not macht erfinderisch. Als Außenstehender glaubt und misst man vielleicht, dass weniger Handlungsspielraum zu weniger Spielvarianten führt. Doch in diesem Falle gebiert die Not ein Höchstmaß an schöpferischem Potential.

Mir stellt sich generell die Frage, weshalb wir unserem Organismus so wenig zutrauen? Schon die Synästhesie zeigt uns, wie variantenreich unser Gehirn mit Sinneswahrnehmungen umgehen kann. Es gibt Menschen, die die nicht bewusst steuerbare Gabe besitzen, durch Verschränkungen von unterschiedlichen Sinneseindrücken, Töne zu schmecken, Bilder zu hören, Zahlen zu erfühlen und mit Farben zu verknüpfen. So könnte man sich durchaus vorstellen, dass für einen Patienten in dieser besonderen Situation einer OP, die für das Gehirn fast einer Isolationshaft gleichkommt, mangels Rückmeldung diverser Sinnesreize, plötzlich ganz neue Verschaltungen möglich sind und man z. B. über das Ohr mehr wahrnehmen kann als nur akustische Bereiche. Wissenschaftliche Experimente mit Probanden, die sich freiwillig über Tage in einem völlig reizarmen, isolierten Raum aufhielten, und deren Sinne kaum Impulse aufnehmen konnten, zeigten Reaktionen von heftigen Halluzinationen. Kann sich das Gehirn nur noch mit sich selbst beschäftigen, weil die Stimulation von außen wegfällt, werden Trugbilder erzeugt und zeigen sich Symptome von Schizophrenie. Der Proband verliert jegliche Orientierung, kann seinen eigenen Körper im Raum nicht mehr verorten. Das Gehirn projiziert irreale Bilder. Obwohl in einem völlig abgedunkelten Raum nimmt der Versuchsteilnehmer Lichterscheinungen wahr. Was bei einer Nahtoderfahrung die Wahrnehmung von Licht erklären würde.

Man braucht gar keine metaphysischen Konzepte anzuwenden, um ein sinnmachendes Bild der Hintergründe einer NTE zu erhalten. Sind sie doch eher kontraproduktiv, um ein Verständnis für dieses Phänomen, für Menschen, die es nicht erfahren haben, zu eröffnen. Denn die Metaphysik und Esoterik ist doch eher daran interessiert, den Status Quo zu erhalten und auszubauen. Das eigene Erleben als Basis dieses Phänomens zu nehmen und allem überzustülpen. Alles, was bei einer NTE erfahrbar ist, ist auch unter Bedingungen für das Gehirn abrufbar, die nichts mit dem Tode des Organismus zu tun haben. Im Gegenteil, regt doch sensorische Deprivation das Gehirn zu besonders viel "Lebhaftigkeit" an. Auch in Bereichen, die medizinische Geräte nicht erfassen können.


Abschließend möchte ich noch den esoterischen, bzw. metaphysischen Aspekt aufgreifen, der sich eine Seele unabhängig vom Körper vorstellen mag, in einer dem Körper überlegenen Position. Mir gefällt hier weit besser das Bild vom beseelt Sein. Alles transportiert Interpretationsspielraum und so lange der Ball immer weitergegeben wird, wird das Spiel am Leben erhalten. Weil wir immer wieder den Raum freigeben müssen, kann das Leben weiter atmen. Auch das Geistige/Seelische besetzt Raum und ist nicht etwas Hehres, das in einer vom Körper losgelösten Existenz zu besonderen Eigenschaften neigt. Die Geschichte zeigt uns, wie bloße Ideen / Meme Räume besetzen und Entwicklungen fördern oder im Keim ersticken können. Körper, Seele und Geist sind alle nicht mehr oder weniger EIN Interpretationsraum, ein Modell in dem sich ein Konzept verdichtet. 

In puncto Bewusstsein, bzw. Geist ist zu ergänzen:
Gleiche Teile können in unterschiedlicher Anordnung etwas völlig Anderes artikulieren. Schon ein einzelnes Teilchen, wie z. B. das Elektron, definiert sich über seinen Spin. Sobald sich etwas definiert, ob materiell oder immateriell, transportiert es einen Geist. Ein weiteres Beispiel wäre der Geist in der Materie -> die Energie, und der Geist in der Energie -> die Materie. Ein Bewusstsein scheint mir nicht unabhängig eines Artikulationsträgers, eines Zustandes, der sich definiert. Sonst gäbe es ein Bewusstsein, das von irgendwoher aus dem Nichts kommt, aber keinen Geist.